Autonomes Fahren - Level 5.

Level 5 beschreibt den höchsten Automatisierungsgrad von Kraftfahrzeugen, der die Teilnahme am Straßenverkehr ohne Fahrer ermöglicht. Um diese Stufe zu erreichen, wird Deep-Learning-Rechnern, wie kleinen Kindern, das richtige „Benehmen“ in unzähligen Straßenverkehrssituationen beigebracht. Mit Carcomputern, gerade einmal so groß wie acht Getränkedosen, macht man hierbei in unerwarteter Geschwindigkeit enorme Fortschritte. Ist das autonome Fahren wirklich noch so weit entfernt?

Autonomes Fahren war Thema auf dem letzten BECHEM International Automotive Meeting in Berlin sowie beim 2. Treffpunkt
Automotive Ruhr, einer Unternehmerinitiative von Automotive-Zulieferern, an der BECHEM mitwirkt.

Der Servicewagen eines Sanitärbetriebs fährt ohne Fahrzeugführer auf eine Baustelle. Bauarbeiter entnehmen die per Smartphone bestellten Teile aus dem Fahrzeug. Wenig später wird einer der Monteure von einem autonom fahrenden Fahrzeug abgeholt und zur nächsten Baustelle befördert. Reine Fiktion. Wann wird Level 5 Realität?

Die Einstellung der Gesellschaft zur Mobilität verändert sich. Gründe hierfür sind Megatrends wie eine zunehmende ökologische Orientierung in allen Bevölkerungsschichten und die Digitalisierung vieler Lebensbereiche. Dazu kommen die zunehmende Rohstoffverknappung, die allgemeine Verdichtung der Arbeit, die CO2-Diskussion und der Klimawandel. Auch die in größeren Städten überlasteten Verkehrsinfrastrukturen verstärken diesen Trend durch gleichzeitig steigende Mobilitätsanforderungen in Familie und Beruf bei häufig verringerten Budgets. Weit mehr junge Leute im führerscheinfähigen Alter haben heute eine geringere emotionale Beziehung zum Automobil und betrachten es weniger als Statussymbol als noch vor 20 Jahren. Rationale Nutzung ist wichtiger als Besitz. Veränderte Werte führen zu gänzlich neuen Mobilitätskonzepten und Nutzerprofilen. Carsharing, Elektromobilität, Fahrradverleihsysteme, Fahrdienstvermittler wie Uber und letztendlich deren Verknüpfung mit anderen Verkehrsmitteln im öffentlichen Personenverkehr gewinnen enorm an Bedeutung. Dazu kommt die sinkende gesellschaftliche Akzeptanz des Dieselmotors. Aktuelle und geplante Verkehrskonzepte in Metropolen wie London, Oslo und Paris mit diesbezüglichen Restriktionen oder Ausgleichsbeträgen für Umweltbelastungen verstärken und beschleunigen den Einstellungswandel.

Angesichts von Verkehrs- und Arbeitsbelastung werden viele Nutzer weit
früher bereit sein, sich das Steuer aus der Hand nehmen zu lassen. Funktionalität und Konnektivität konkurrieren mit PS-Power und Geschwindigkeit. Wann werden die Automobilentwickler Level 5 erreicht haben? Level 5, das Automatisierungsniveau von Kraftfahrzeugen, die ohne Eingriff eines Menschen fahren können.


Nachempfundene Belegtheitskarte (Occupancy Grid) – so bilden Onboard-Supercomputer den zur Verfügung stehenden Verkehrsraum ab.

Was die Spürbarkeit dieser Tendenzen im Lebensalltag betrifft, gehen die Meinungen weit auseinander. Das reicht von derzeit vielleicht pessimistischen 30 Jahren bis zu gewagten 3 Jahren. Als Verzögerungsgründe für die Entwicklung werden rechtliche Hürden, ethische Aspekte und Unfälle, also der Stand der Technik, angeführt. Doch mehr oder weniger deutlich werden heute bereits viele autonome Fahrfunktionen in Serienfahrzeugen angeboten. Bestimmte Fahrzeuge sind für autonomes Fahren bzw. für umfangreiche Funktions-Upgrades vorbereitet und auf Teststrecken oder als Testfahrzeug für Feldversuche in US-Bundesstaaten zugelassen. Das wird am Beispiel verschiedener gehobener Mittelklassemodelle und an selbstfahrenden Taxis in einer amerikanischen Metropole deutlich. Diesen technologischen Fortschritt ermöglicht das Zusammenwirken von KI-Rechnerplattformen (KI = künstliche Intelligenz) mit Straßendaten, Verkehrsinformationen und mit über Sensoren und Kamerasysteme ermittelten Lokalisierungsdaten. Hierbei wird ein dreidimensionales dynamisches Bild vom Fahrzeug und dessen Umgebung erzeugt. Diese Superrechner arbeiten mit Deep-Learning-Prozessen, d. h., sie erlernen das Verhalten des Fahrers und aller Verkehrsteilnehmer durch „Mitfahren und Beobachten“. Letztendlich sollen sie die Absichten der Verkehrsteilnehmer zuverlässig interpretieren. Auf dem Weg dahin wird erlerntes Fehlverhalten von den Entwicklern immer wieder gelöscht und durch besseres Verhalten anderer KI-Systeme ersetzt.

Rechtsexperten sehen im deutschen bzw. europäischen Verkehrsraum bei der Entwicklung vom teilautomatisierten über das hochautomatisierte Fahrzeug zum vollautomatisierten Fahren bzw. autonomen Fahren komplexe rechtliche Hürden. Wer fährt: der Mensch oder die Maschine? Haftet der Teilehersteller bei Fehlern in seinen Produkten, die zum Unfall führen? Hierbei gibt es Instruktionspflichten des Herstellers und Produktbeobachtungspflichten für den Fahrer. Zudem kommen Datenschutz- und Ethikfragestellungen hinzu.
Bislang sollen vollautomatisierte Systeme jederzeit bei einer Notsituation übersteuerbar oder deaktivierbar sein. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu zeigen jedoch, dass der Mensch mit 80 % bis 90 % Falscheingriffen in Notsituationen die Schwachstelle ist. Ähnliche Fälle sind aus der Luftfahrt bekannt. Damit rücken fahrerlose KI-basierte Entwicklungen für zukünftige Mobilitätskonzepte in den Vordergrund. Unfälle wie ein lichtreflexionsbedingter Unfall mit einem Elektrofahrzeug in den USA, Wetterbedingungen wie Schnee, Eis, Starkregen und Nebel scheinen noch auf die Unbeherrschbarkeit der vielen Risikofaktoren hinzuweisen. Doch auch hierfür gibt es bereits Lösungsansätze wie z. B. ausgewählte Streckenfreigaben, Freigaben von bestimmten Stadtvierteln für den autonomen Fahrzeugverkehr, bei denen dynamische Straßenkartensysteme eine Rolle spielen werden.


Automobilentwickler behaupten, dass komplexe Sensortechnik (Radar, LiDAR und Ultraschall), kombiniert mit bis zu 12 Kameras, sogar teilweise verdeckte Menschen in 200 m Entfernung besser als der Mensch erkennen kann.

Automobilentwickler behaupten, dass komplexe Sensortechnik (Radar, LiDAR und Ultraschall), kombiniert mit bis zu 12 Kameras, sogar teilweise verdeckte Menschen in 200 m Entfernung besser als der Mensch erkennen kann.

Unter den hochautomatisierten, quasi selbstfahrenden Fahrzeugen auf dem Markt befinden sich auch bekannte elektrisch betriebene Automobile. Sie dokumentieren deutlich den Wandel zu alternativen Antriebskonzepten. Mit eigenen Stromtankstellen wirkt ein Anbieter Schwächen der Infrastruktur entgegen und schafft seinen eigenen Absatzmarkt. Beim Wandel zur Elektromobilität und auch beim Wandel zum autonomen Fahren werden vielleicht sogar die schwächer motorisierten Volkswirtschaften entscheidende Entwicklungs­impulse beisteuern. Diese Länder werden die Phase des Verbrennungsmotors bei der Massenmotorisierung sehr wahrscheinlich überspringen. Bei der Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur werden sie sich an ganz neuen Maßstäben, an den Anforderungen selbstfahrender Fahrzeuge ausrichten können, weil vielerorts „auf der grünen Wiese“ begonnen wird.

Stufen des automatisierten Fahrens

(Level 0 – Level 5)

Der Fahrer fährt ausschließlich selbst.

Einzelne Assistenzsysteme unterstützen bei der Fahrzeugführung (z. B. Geschwindigkeits- und Abstandsregelanlage).

Teilautomatisierung. Unter anderem automatisches Einparken, Spurhaltefunktion, automatisches Beschleunigen und Abbremsen.

Hohe Automatisierung. Das Fahrzeug führt zusätzlich automatisch Spurwechsel/-halten und Fahrtrichtungsanzeiger aus. Das Assistenzsystem erkennt Grenzfälle und fordert den Fahrer dann zur Fahrzeugführung auf.

Vollautomatisierung. Die Fahrzeugführung wird vom System dauerhaft übernommen. In Grenzfällen kann der Fahrer das System jederzeit übersteuern.

Das System kann ohne Fahrer während der ganzen Fahrt alle Situationen automatisch bewältigen.

Wussten Sie das?

80 % - 90 %

In Notsituationen ist der Mensch mit 80 % bis 90 % Fehleingriffen eine Schwachstelle bei autonomen Fahrsystemen.

3 oder 30 Jahre?

Wann wird das autonome Fahren Realität? Die Einschätzungen hierzu bewegen sich aktuell noch zwischen 3 und 30 Jahren.

Präzision

Navigation und autonomes Fahren unterscheiden sich hinsichtlich der Genauigkeit deutlich. Maximal bis auf 5 m genau sind Navigationssysteme, wohingegen autonome Fahrfunktionen eine Präzision von weniger als 10 cm schaffen.
Straßen- und Umgebungsinforma­tionen autonomer Fahrsysteme werden „live“ übermittelt, die von Navigationssystemen sind wenigstens 3 Monate alt.

8 TeraFLOPs

Leistung hat die derzeit modernste Superrechnerplattform für Autos. Das entspricht in etwa der Rechenleistung von 150 MacBook Pro Notebooks.

Wussten Sie das?

80 % - 90 %

In Notsituationen ist der Mensch mit 80 % bis 90 % Fehleingriffen eine Schwachstelle bei autonomen Fahrsystemen.

3 oder 30 Jahre?

Wann wird das autonome Fahren Realität? Die Einschätzungen hierzu bewegen sich aktuell noch zwischen 3 und 30 Jahren.

Präzision

Navigation und autonomes Fahren unterscheiden sich hinsichtlich der Genauigkeit deutlich. Maximal bis auf 5 m genau sind Navigationssysteme, wohingegen autonome Fahrfunktionen eine Präzision von weniger als 10 cm schaffen.
Straßen- und Umgebungsinforma­tionen autonomer Fahrsysteme werden „live“ übermittelt, die von Navigationssystemen sind wenigstens 3 Monate alt.

8 TeraFLOPs

Leistung hat die derzeit modernste Superrechnerplattform für Autos. Das entspricht in etwa der Rechenleistung von 150 MacBook Pro Notebooks.

Mensch und Güter vollautomatisiert mobilisiert?

Interview mit Dr.-Ing. Roger Müller, Geschäftsführer der Logiball GmbH, Herne.

Carl. Sie haben den letzten Treffpunkt Automotive Ruhr, eine Veranstaltung der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH, mit einem Vortrag zum Thema „Autonomes Fahren“ unterstützt. Ihr Unternehmen ist spezialisiert auf das Engineering von Navigationskarten und -lösungen im B2B-Segment. Können Sie das noch etwas präzisieren?

Logiball beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Karte und deren Anwendung im Bereich Mobilität im B2B-Sektor. Das umfasst Navigations­lösungen für Spezialanwendungen wie beispielsweise für den Weltmarktführer im Bereich Landmaschinen und reicht bis zur Qualitätssicherung von Kartendaten für das autonome Fahren bei Automobilherstellern. Als ehemaliges Spin-off eines Fraunhofer-Instituts entstanden, gehören wir weltweit zu den wenigen Spezialisten in diesem Bereich und sind demzufolge auch sehr nah dran am Innovationsgeschehen.

Carl. Sie glauben, dass in absehbarer Zeit die Mobilität von Mensch und Maschine vollautomatisiert funktionieren kann – so ein Statement auf Ihrer Internetseite. Es gibt noch viele Pressestimmen, die Gegenteiliges behaupten. Was sagen Sie hierzu?

Ich führe gerne die Entwicklung des iPhones an. Viele Experten haben es einen Monat vor Erscheinen des ersten iPhones im Jahr 2007 strikt für nicht denkbar gehalten, dass es so etwas geben kann. Einige Gründe waren damals: Akkus wie auch Mobilfunknetze waren nicht leistungsfähig genug und ohne Tastatur konnte ein mobiles Telefon nicht auskommen. Die Gründe von damals erinnern mich stark an die Gründe von heute, warum es so bald kein elektrisch angetriebenes Robotaxi geben kann. Wir wissen heute, dass beispielsweise Google im Jahr 2016 im Durchschnitt 8.000 km völlig autonom fahren konnte, bis ein menschlicher Eingriff notwendig war. Das war eine Verbesserung um den Faktor 5 gegenüber 2015. GM hat angekündigt, bereits 2018 eine Testflotte mit mehreren Tausend autonomen Robotaxis auf die Straßen zu schicken. Die Entwicklung der relevanten Technologien geht derzeit mit einer so großen Geschwindigkeit voran, dass ich glaube, dass wir spätestens in vier Jahren in einigen Städten den Regelbetrieb von Robotaxis sehen werden. Vielleicht nicht in Deutschland, aber mit Sicherheit in Asien und den USA.

Carl. Was behindert die Entwicklung derzeit noch? Die rechtlichen Rahmenbedingungen?

Nein, der Rechtsrahmen wird sich anpassen, ich halte die Diskussion für überhöht. Ein wesentlicher Aspekt sind jedoch verlässlich arbeitende Sensoren zu einem massentauglichen Preis. Die „Augen“ des autonomen Fahrzeugs sind der Gamechanger. Alle anderen notwendigen Bausteine wie Supercomputer für den Kofferraum, Deep Learning, 5G-Netze, Big-Data-Infrastrukturen oder hochauflösende Karten sind auf einem guten Weg. Auch bei den Sensoren gibt es massive Fortschritte, große Hoffnungen ruhen auf halbleiterbasiertem LiDAR (Light Detection and Ranging). Diese sind dann in der Lage, ohne mechanische Bauteile alle Hindernisse in Echtzeit rund um das Fahrzeug zu erkennen, und das zu einem Preis, der 100-mal geringer ist als der heutiger LiDAR-Systeme. Damit ist dann auch die Erreichung des entscheidenden Ziels, die Kosten pro Kilometer für den Nutzer in den einstelligen Centbereich zu bringen, umsetzbar. Spätestens dann wird sich unsere Welt massiv verändern, denn heute liegt der Kilometerpreis selten unter 30 Cent bei individueller Mobilität.

Carl. Was ist mit Unfällen, die durch Blendung, reflektierende
Flächen oder Sonnenlicht ausgelöst werden wie der bekannte Unfall mit einem weißen Lkw in den USA?

Was Sie ansprechen, ist der Risikoaspekt. Das autonome Fahren stellt ein Risiko dar, auch wenn statistisch das Risiko eines Unfalls wesentlich geringer sein wird als bei einem menschlichen Fahrer. Anbieter autonomer Mobilität werden dieses Risiko extrem scheuen. Das gilt auch dann, wenn sich eindeutig nachweisen lässt, dass das autonome Fahrzeug keinerlei Fehlverhalten gezeigt und zudem wesentlich besser reagiert hat als der Mensch. Das Risiko, die Marke zu gefährden, ist einfach zu groß, deshalb werden hohe Anstrengungen unternommen, das Risiko zu minimieren. Aber auch dafür gibt es Lösungen.
Eine Möglichkeit besteht darin, eine Straße für autonome Fahrzeuge hoch dynamisch freizugeben oder zu sperren. Das bedeutet: Im Sekundentakt wird ermittelt, ob das Risiko für einen Unfall beim autonomen Fahren so hoch ist, dass die Straße gesperrt werden muss. Diese Sperrungen werden in einer Karte vermerkt und an das Fahrzeug übermittelt. Das Fahrzeug berücksichtigt die Sperrung dann bei der Streckenwahl. Ob eine Straße gesperrt oder freigegeben wird, hängt von zahllosen Faktoren ab. Die Blendung durch eine tief stehende Sonne kann einer dieser Faktoren sein, weil sie die Funktion der Kamerasysteme beeinträchtigt. Wie in meiner Demonstration im Verlauf der Tagung gezeigt wurde, ermittelt unser System ADRIA neben vielen anderen Faktoren für jede Straße weltweit exakt diese Gefährdung durch Gegenlicht und weist aus, ob deshalb eine Straße gesperrt werden muss.
Andere Faktoren können beispielsweise eine hohe Anzahl von Schulkindern entlang der Straße oder bauliche Gegebenheiten sein wie die verdeckte Sicht auf andere Verkehrsteilnehmer oder zu geringe Sicherheitsabstände zwischen den Verkehrsteilnehmern. Es ist davon auszugehen, dass ein Start in die autonome Mobilität wohl zunächst streckenabschnittsweise und damit auf sehr hohem Sicherheitsniveau erfolgen wird. Als Schlussfolgerung wird sich wahrscheinlich ein neuer Standortfaktor ergeben, der ausweist, welche Stadt im Mittel die meisten autonom befahrbaren Straßen hat.


Dr.-Ing. Roger Müller, Geschäftsführer/CEO, Logiball GmbH, Herne

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