Tiefe Einblicke – das NE-Umformmeeting von BECHEM.

Bei den NE-Umformmeetings von BECHEM geht es nicht um das Straßennetz. Aber mit allem was sich darauf bewegt, hat die Veranstaltung sehr wohl zu tun, denn der Auto­motivebereich ist ein ganz wichtiger Abnehmerkreis einer Vielzahl hochtechnischer Drahterzeugnisse.

Alle zwei Jahre wird die BECHEM Veranstaltung an einem anderen Ort in Deutschland ausgerichtet. Nach nun mittlerweile zehn Jahren hat sich das NE-Umformmeeting – NE steht für Nichteisen­metall – zu einem Branchenevent wie auch zu einer Plattform zum Netzwerken, oft mit mehr als 140 Teilnehmern, für erfahrene Profis und Nachwuchskräfte entwickelt. Das Programm wird von Themen, die unmittelbar den Drahtzug, die Ziehwerk­zeuge und die komplexe Anlagenperi­pherie betreffen wie auch durch besondere Gastbeiträge, die sich auf andere aktuelle oder in die Zukunft gerichtete Themen beziehen, bestimmt.

Der Besucher profitiert in jedem Fall.  Er erfährt viel Neues und bekommt einen „Blick über den Tellerrand“, ob durch die Präsentationen, durch anschließende Diskussionen oder beim Netzwerken mit altbekannten und neuen Brancheninsidern.

Die Sonderthemen der letzten Veran­staltung vermittelten einen tiefen Einblick in die Herstellung von Bordnetzen für Kraftfahrzeuge und eine Vorstellung von der nahen Zukunft dieser unverzichtbaren Hightech-Kabel- und Leitungssysteme. Vieles sind große Herausforderungen in diesem dynamischen Markt. Hier stehen ganz vorne: die Entwicklung von Fahrer­assistenzsystemen, die Hochvolttech­nologie, die Miniaturisierung durch Werkstoffalternativen und die Elektrifi­zierung mit mehreren Spannungsebenen.


Hochtechnische Drahterzeugnisse im Einsatz. Immer mehr automobile Anwendungen müssen mit immer komplexer werdenden Leitungssystemen aus NE-Metall ihre Arbeit verrichten.

Neben vielen Fachbeiträgen, beispiels­weise von den Unternehmen Aurubis, Frigerio, Niehoff und Schunk Sono­systems, war auch Leoni, der Hersteller von Bordnetzsystemen dabei. Dr. Markus Ernst, Research and Development, Teamleiter New Technologies and Innovation Management bei LEONI, hat uns ein paar Fragen beantwortet.

Wussten Sie das?


Auszug aus einem Bordnetz-System von LEONI.

Das Gewicht eines Bordnetzes kann in der automobilen Mittelklasse bis 35 kg betragen. Je nach Ausstattung und insbesondere bei Luxusfahrzeugen liegen die Werte deutlich darüber.

Aus eintausend bis dreitausend Leitungen setzen sich derzeit automobile Bordnetze zusammen.

Mit Längen zwischen 2 km und 6 km können Bordnetze mit Joggingstrecken konkurrieren.

Nicht just-in-time sondern just-in-sequence. Passend zur Variantenvielzahl liegen die Bordnetze in der Automobil­produktion fahrzeugindividuell just-in-sequence einbaubereit in der passenden Reihenfolge zum herzustellenden Fahrzeug neben der Fertigungsstraße.

Automotive Bord­netze – aktueller Stand und zukünftige Heraus­forderungen.

Interview mit Dr. Markus Ernst, Research and Development, Teamleiter New Technologies and Innovation Management bei der LEONI Bordnetz-Systeme GmbH.

CARL. Sie haben als Vertreter eines Herstellers von Bordnetzsystemen unser letztes NE-Umformmeeting mit einem Beitrag unterstützt. Darf man heute eigentlich noch Kabelbaum hierzu sagen?
Der Begriff ist nach wie vor gängig, obwohl wir meistens von einem Bordnetz-System sprechen. Das Bordnetz eines PKW hat sich über die Zeit kontinuierlich weiterentwickelt und dabei sehr stark gewandelt. Haben über viele Jahrzehnte hinweg einfache Punkt-zu-Punkt-Verdrahtungen ausgereicht, ist das Bordnetz heute komplexer denn je. Wir haben ein modulares System, dass alle beim OEM konfigurierbaren Austattungs­­varianten abbilden muss, und damit faktisch in Losgröße 1 produziert wird. In Zahlen bedeutet das, dass wir in der Mittelklasse bis zu 3.000 Meter Kabel mit bis zu 1.500 Einzelleitungen und einem Gesamtgewicht von etwa 35 kg vorfinden.

CARL. Bei Ihrem Beitrag ging es auch um Trends. Was haben Megatrends und Kabelbäume für Autos miteinander zu tun?
Grundsätzlich besteht bei jeder Art von Trendanalyse die Herausforderung, ein in die Zukunft gerichtetes Bild zu erzeugen und daraus die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen. Auch wir stehen vor der Herausforderung, solche allgegen­­wärtigen Megatrends auf unser Unter­nehmen herunterzubrechen. Die Schwierigkeit besteht darin, aus einem Megatrend wie zum Beispiel Urbani­sierung, der eine Laufzeit über mehrere Jahre oder Jahrzehnte hat, konkrete Handlungsempfehlungen für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten im Planungshorizont abzuleiten und dabei Lösungen zu antizipieren, die sich voraussichtlich am Markt durchsetzen werden. Insbesondere bei einem Bordnetz-System ist diese Aufgabe nicht trivial, da es vom überwiegenden Teil der Trends betroffen ist, die aber zum Teil nicht unmittelbar das Produkt an sich verändern – wie beispielsweise die zunehmende Anzahl an Sensoren und Aktuatoren beim autonomen Fahren – oder aber andererseits das System als solches radikal verändern können – wie beispielsweise wireless-Technologien.

CARL. Wo liegen hiernach die Herausforderungen für die nahe Zukunft in Ihrem Bereich?
Die Herausforderungen im Bordnetz lassen sich im Grunde alle auf denselben Nenner bringen. Im Fokus stehen die Optimierung von Kosten, Gewicht und Bauraum. Technisch gesehen sind verschiedene Themen in der aktuellen Diskussion, die aus den unterschied­lichsten Trends in der Automobilindustrie resultieren. Zu nennen sind hier beispielsweise die weiter fortschreitende Elektromobilität, die Elektrifizierung von bislang mechanisch angetriebenen Komponenten oder das automatisierte bzw. autonome Fahren. Hieraus ergeben sich verschiedene Herausforderungen, beispielsweise in der Umsetzung von Hochvolttechnologie im Fahrzeug, der Realisierung von Mehrspannungs­bordnetzen, die zunehmende Miniatu­risierung der eingesetzten Komponenten, alternative Karosserie- und Leitermate­rialien zum Leichtbau, oder die Imple­mentierung höherer Datenraten im Fahrzeug.

CARL. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Drahthersteller?

Im Bereich der Drahthersteller liegen die zukünftigen Herausforderungen aus unserer Sicht vor allem in der Zuverläs­sigkeit der Leitungen und in der Erschließung neuer Materialien bzw. Legierungen sowohl für die Signal- als auch die Leistungsübertragung, also beispielsweise in neuen Isolations­werkstoffen oder komplexeren Leitungen für hohe bis sehr hohe Datenraten. Daneben wird sich auch hier die Miniaturisierung fortsetzen, sodass wir auch in Zukunft eine Reduktion der Querschnitte sehen werden, die aber wiederum eine stärkere Automatisierung in der Bordnetzkonfektion nach sich ziehen wird.

Dr. Markus Ernst

Dr. Markus Ernst, Research and Devel­opment, Teamleiter New Technologies and Innovation Management bei der LEONI Bordnetz-Systeme GmbH.