Wie eine Rennserie Zeichen für den Wandel setzt.

Sind 225 km/h zu langsam? Diese Frage stellen sich Rennsportbegeisterte bei der Formel E, der Rennserie für Formelwagen mit Elektromotor. Die junge Meisterschaft, die die Höchstgeschwindigkeit auf 225 km/h reglementiert, ist vielen Menschen noch unbekannt und wird manchmal sogar von Rennsportfans und -profis belächelt. Die auf öffentlichen Straßen ausgetragenen Rennsportveranstaltungen sorgen jedoch in mehrfacher Hinsicht für zunehmende Begeisterung. 

Im Bereich Elektromobilität gehören Lärm und Leistung nicht zusammen. Der E-Prix erreicht ein ganz neues Publikum. Deutsche Marken werden in den kommenden Saisons dazustoßen und die Rennserie für Entwicklungsarbeit, Technologietransfer und Marketingmaßnahmen nutzen.


Der für die Formel E temporär aufgebaute Stadtkurs Central Harbourfront Circuit in Hongkong führt über öffentliche Straßen in unmittelbarer Nähe des Riesenrads „Observation Wheel“, das einen spektakulären Blick auf die Rennstrecke sowie den Victoria Harbour bietet.

Die Sonne scheint. Fahnen werden geschwenkt. Fans feuern ihre Teams an. Reifen qualmen. Rennwagen fahren dicht auf, scheinen sich zu berühren, drehen sich spektakulär. Das Rennen der Formel E wird vor städtischer Kulisse auf gesperrten öffentlichen Straßen durchgeführt. Die Fahrszene erinnert an Monaco oder an andere Rennstrecken der klassischen Formel 1. Nur der Sound ist ein anderer. Wie ein Wespenschwarm klingen die über 270 PS starken Fahrzeuge, die durch enge Kurven und kurze Geraden in Großstädten wie Paris, Berlin, Hongkong oder New York fahren. Doch der Klang ist nicht entscheidend. Wer schon einmal ein leistungsstarkes Elektrofahrzeug gefahren hat, weiß, dass im Bereich Elektromobilität Lärm und Leistung nicht zusammengehören. Der Lärm, den Verbrennungsmotoren verursachen, wird von echten E-Fans ebenfalls mit einem Lächeln kommentiert. Viele spannende Fahr- und Überholmanöver der Formel E wären bei höheren Geschwindigkeiten nicht machbar und würden wohl allein aus Sicherheitsgründen von den Veranstaltern nicht gestattet. Branchenkenner rechtfertigen das Geschwindigkeitslimit. Sie behaupten, dass andernfalls die engen Strecken in den Austragungsorten und die vielen Überholmanöver, verbunden mit dem Energiemanagement, das die Fahrer während der Fahrt zusätzlich beschäftigt, die Aufmerksamkeit zu stark beanspruchen würden. Dennoch wird eine spätere Erhöhung der Fahrzeugleistung und -geschwindigkeit erwartet. In Saison vier (2017/18) waren die Rennwagen noch mit 28-kWh-Batterien unterwegs. Das kann sich mit der McLaren-Technologie schon bald ändern. Mit 54-kWh-Batterien entfällt dann auch der bislang durchgeführte Fahrzeugwechsel während des Rennens. Dabei sind die Fahrzeuge der jungen E-Rennserie schon jetzt keineswegs langsam. Insider berichten mit Verweis auf Messergebnisse, die auf der permanenten Rennstrecke in Marrakesch ermittelt wurden, dass die Fahrzeuge bereits heute etwas höhere Rundenzeiten als bei der FIA-Tourenwagen-Weltmeisterschaft erreichen.


Neue Mittelklassefahrzeuge nehmen dem Verbraucher die Reichweitenangst – eines der Markthindernisse für Elektromobilität.

Der E-Grand-Prix (E-Prix) in Marrakesch zeigt, dass von den Veranstaltern grundsätzlich auch andere Rennkurse außerhalb von Städten gewählt werden könnten. Es scheint jedoch so, dass gerade dieses neue Format, basierend auf temporären Rennstrecken und einem alternativen Antriebskonzept, durch die Stadtnähe ein ganz neues Publikum erreicht. Menschen, die sich zuvor überhaupt nicht oder wenig für den automobilen Rennsport interessiert haben, oder, bedingt durch einen Wertewandel, eine deutlich geringere emotionale Bindung zum Automobil haben. Hierbei können auch interaktive Angebote, bei denen das Publikum Einfluss auf das Renngeschehen nehmen kann, eine Rolle spielen. Vom Publikum favorisierte Fahrer können einen „Extra Power Boost“ zugesprochen bekommen. Dies sind in der Formel-E-Szene nicht unumstrittene Energiepakete.

Zu den E-Prix-Rennen und deren Szene gehören große Namen aus der Formel-1-Geschichte, sowohl was die teilnehmenden Fahrer als auch die Technik betrifft. Renault, Williams und McLaren sind Urgesteine der Formel 1. Neben Teams aus Indien, China und Frankreich tauchen nun neue Namen aus den USA oder Polen auf. Deutsche Premiummarken werden wohl in den kommenden Saisons dazustoßen und die Rennserie für Entwicklungsarbeit, Technologietransfer und Marketingmaßnahmen nutzen. Es wird sogar erwartet, dass sich Unternehmen aus anderen klassischen Rennserien zugunsten der Formel E zurückziehen werden. Experten aus der jungen Rennszene – die erste Saison war erst 2014/15 – deuten das als klares Signal für einen Wandel in der Automobilindustrie.

Diese Reform machen auch neue Mittelklassefahrzeuge deutlich, die mit Reichweiten von knapp unter 400 Kilometer beim Normalverbraucher Reichweitenangst abbauen. Ebenso wie neue Kleinwagenkonzepte, die von Universitäten umgesetzt werden, oder elektrische Transporterflotten von Franchisebetrieben und Briefdienstleistern. Noch offensichtlicher werden die Veränderungen bei der Betrachtung von Zahlen des chinesischen Automobilmarkts. Sie zwingen zur schnellen Veränderung in der Automobil- und Zuliefererbranche. Die Volksrepublik China liegt mit rund 25 Millionen verkauften Autos 2017 vor den USA und Japan. Das große Land steht für ein Drittel des weltweiten Fahrzeugmarkts. Mit Gesetzesvorgaben, Einfuhrbeschränkungen, Modellverboten, Zulassungsbeschränkungen in Metropolen und mit Quoten für rein elektrisch betriebene Fahrzeuge will es den Wandel weg vom Explosionsmotor forcieren.

Über 770.000 E-Autos, darunter über 650.000 reine batterieelektrische Fahrzeuge (BEV, Batterie-electric Vehicles), wurden 2017 in China produziert. Für das Jahr 2025 wird ein BEV-Marktanteil von 30 % prognostiziert. Wer diesen bedeutenden und wichtigsten Automobilmarkt bedienen will, muss ein überzeugendes elektromobiles Angebot aufweisen. Folglich werden viele rein elektrische Lösungen von den klassischen Anbietern mit Hochdruck entwickelt werden müssen. In diesem Marktsegment liegt China technologisch vorn, da es unter anderem auf eine längere E-Tradition im Zweiradsegment und die damit verbundene Erfahrung zurückblicken kann.

Auch in der VR China sorgt eine nicht ausreichende Ladeinfrastruktur für Probleme. Daher kann es in Zukunft auf dem größten Automobilmarkt immer wieder zu einem Richtungswechsel bei der Quotenregelung kommen, der von den klassischen Automobilherstellern Flexibilität beim Modellmix verlangen wird. Gleichzeitig ist mit Chinas E-Anbietern, die sich auch intensiv an der neuen Formel E beteiligen, nicht nur in europäischen Märkten, sondern weltweit zu rechnen.


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