Verkapselte Schmier- und Wirkstoffe in grifftrockenen Anwendungen gewinnen zunehmend an Bedeutung, da sie bei vielen Problemstellungen Lösungen aufzeigen. Mit ihrem Einsatz im Bereich Spritzgießen werden sie zum technologischen Gamechanger.

Die innovativen Mikrokapseln sind das Ergebnis der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Gleitlacken.

Kunststoffe und Gleitlacke einer neuen Dimension

Die Bedeutung von Spezialschmierstoff in der Industrie, speziell in der Automobilindustrie nimmt zu. Je nach Anforderungsprofil trägt er zur geräuscharmen Funktionstüchtigkeit verschiedenster Baugruppen bei. Die gezielte Schwingungsdämpfung und Reibwertoptimierung ermöglichen langfristig reproduzierbare Abläufe in den unterschiedlichsten Komponenten.

Grifftrockene Schmierstofflösungen mit großem Problemlösungspotenzial

Neben Schmierfetten, Pasten und Schmierstoffdispersionen gehören längst auch Beschichtungen zu den wirksamen Schmierstoffsystemen. „Diese Anti-Friction-Coatings, auch Gleitlacke genannt, bergen als grifftrockene Schmierstofflösungen sehr großes Problemlösungspotenzial“, sagt Dr. Thomas Löhl, Produktverantwortlicher für Gleitlacke in der Business Unit Spezialschmierstoffe bei BECHEM. Einerseits befinden sich BECHEM Gleitlacksysteme bereits unverzichtbar im Großserieneinsatz, beispielsweise in der Fertigung von Premiummotorkolben, andererseits, so meinen BECHEM Experten, ist die Vielfalt der Applikationsmöglichkeiten von Gleitlacken vielen Entwicklern und Zulieferern in ihrer Gänze noch nicht bekannt. Bei diesem Lacktypus handelt es sich um Dispersionen ausgewählter Festschmierstoffe in organischen oder anorganischen Bindern in Lösemittel oder Wasser. Nach der Applikation und dem Aushärten bildet der Lack einen festen Verbund aus Bindemitteln und Festschmierstoffen.

Bei der tribologischen Beanspruchung erfolgt ein Übertrag der eingebundenen Festschmierstoffe auf den Gegenkörper. Dabei bildet sich ein Transferfilm, der zur Reduzierung der Scherkräfte und damit zu verminderten Reibwerten führt. Eine Vielzahl von Bindemitteln und Festschmierstoffen, auch auf Basis von Nanotechnologie, mit unterschiedlichsten Eigenschaften, steht für die unterschiedlichsten Entwicklungsanforderungen zur Verfügung.

Problemlösungspotenzial von Gleitlacken

  • Verminderung von Reibung und Verschleiß, Störgeräuschminimierung
  • Konstante Reibungszahlen mit sehr geringer
    Streuung
  • Einsatz unter extremen Bedingungen (Temperatur,
    Vakuum und Staub)
  • Die Temperaturbeständigkeit reicht je nach Typ von – 70 °C bis + 450 °C
  • Mineralöl- und chemikalienbeständige Beschichtungen möglich
  • Verbesserter Einlauf von Maschinenelementen und Notlaufeigenschaften
  • Sehr guter Korrosionsschutz
  • Sauber in der Anwendung – keine Verschmutzung von Reibstelle und Umgebung
  • Vermeidung von Schwingungsreibverschleiß (Passungsrost)
  • Dünne Schichten sind realisierbar (5 – 30 μm)
  • Viele Gleitlackbeschichtungen sind überlackierbar
  • Verbesserung der Montagemöglichkeiten von
    Maschinenelementen

Leistungssteigerung durch Mikrokapseltechnologie

Durch die Einbettung von wirkstoffbefüllten Mikrokapseln in den Gleitlack können die enthaltenen Festschmierstoffe hinsichtlich ihrer Schmierwirkung signifikant unterstützt werden. In den Mikrokapseln mit einer Größe von 1–1000 μm können sowohl feste, flüssige wie auch gasförmige Stoffe (das eigentliche Kernmaterial) in kleinsten Portionen, von einem Wand-/Matrixmaterial umgeben, immobilisiert werden. Das Wirkprinzip der Mikrokapseltechnologie in Gleitlacken veranschaulichen die REM-Aufnahmen in Abb. 1. Nur unter dem Rasterelektronenmikroskop zu erkennen, sind mit Schmierstoff oder anderen Wirkstoffen gefüllte kugelartige Container im Gleitlack eingebettet. Bei Belastung der ausgehärteten Lackschicht geben sie ihre Ladung (hier Schmierstoff) an die Reib- bzw. Schmierstelle ab.

Dadurch baut sich ein leistungsstarker und dosierter Schmierfilm zwischen den beteiligten Reibpartnern auf, der Reibwerte und Verschleiß signifikant reduziert.

Die Verkapselung dient hierbei als Schutz, um Unverträglichkeiten zwischen Harzbindesystem und verkapselten Schmierstoffen zu vermeiden. Nach jeder Bewegung ist ein minimaler Verschleiß der Oberfläche zu erkennen. Dies nutzt die Mikrokapseltechnologie zu ihrem Vorteil: Das mechanische Einwirken auf den Gleitlack bewirkt die Öffnung der Kapselhülle und gibt den zusätzlichen Schmierstoff dosiert frei. Durch die kontinuierliche Reibbewegung im tribologischen Spalt wird er weiterverteilt und sorgt für eine grifftrockene Oberfläche. Mit weiterem Verschleiß werden tiefer liegende Kapseln erreicht, die eine konstante Schmiermittelversorgung gewährleisten.

Abb. 1: Wirkprinzip der Mikrokapseltechnologie im Gleitlack (Quelle: De Martin GmbH, Surface Technology)

Eine neue Dimension: Mikrokapseln im Spritzguss

Völlig neu ist der Einsatz der Mikrokapseltechnologie im Bereich Kunststoffspritzguss. Das Compound, das mit wirkstoffbeladenen Mikrokapseln ausgestattet ist, wird im Spritzgusswerkzeug zu Formteilen verarbeitet, die es buchstäblich „in sich haben“. In diesem Fall enthält der gesamte Kunststoff Mikrokapseln und nicht nur die obersten Lackschichten.
Das Wort Wirkstoff umfasst hier mehr als Schmierstoff. Durch Variation der Prozessparameter sind Mikrokapseln in unterschiedlichen Größen und Wandstärken möglich. Die freie Wahl des Inhaltsstoffs erlaubt es eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten abzubilden.

Beim Spritzgießen bedeutet das, dass die eingebrachte Technologie dazu beitragen kann, die Funktionalität und Lebensdauer von Kunststoffkomponenten, Bauteilen und Baugruppen zu verbessern und den Produkten echten Zusatznutzen zu stiften. Auch mit Blick auf die Konstruktionspraxis zeigen sich alternative Ansätze hinsichtlich Bauart und Materialspezifikation, die gewählt werden können. Es ist durchaus möglich, dass bestimmte von der Konstruktion geforderte Eigenschaften auch mit weniger anspruchsvollen Kunststoffwerkstoffen erfüllt werden können. Möglich wird dies, wenn die dem Rohpolymer zugeführten Mikrokapseln das Qualitätsdefizit anforderungsgerecht ausgleichen.

Mögliche Anwendungsbeispiele sind schwergängige Kunststoffmechaniken wie Schubladensysteme, Kulissenführungen und große Schraubgewinde, die vorzugsweise grifftrocken geschmiert werden sollen. Die integrierte Mikrokapselschmierung bewirkt eine leichtere Handhabung, höhere Betriebssicherheit und zugleich Lebensdauer der Bauteile. Ein Beispiel hierfür sind Ausstellfenster mit Kulissenführung oder Kurbelmechanik, wie sie im Boots- und Freizeitmobilbau Verwendung finden. Schmierfette, die in diesen Anwendungen durch UV-Licht-Einfluss, Oxidation oder Auswascheffekte ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, können durch die integrierte Schmierung mit Mikrokapseln ersetzt werden. Nach dem mechanischen Abrieb der Spritzhaut am Kunststoffbauteil beginnt die eigentliche Schmierung bzw. öffnen sich die an der Oberfläche liegenden Mikrokapseln.

Das Kunststoffbauteil erhält beim
Reibkontakt durch compoundierte
Mikrokapseln Schmierung bei Bedarf.
Es schmiert sich selbst unter Druck –
eine echte Alternative zu Grafit oder
ausschwitzenden Ölen.

Dr. Thomas Löhl

Wie effizient die Schmierung in der Reibstelle von Kunststoffteilen (Material POM-C) aufgebaut werden kann zeigt die Betrachtung der Reibwertverläufe bei konstanter Flächenpressung in Abb. 2. Die gelbe und die rote Kurve verlaufen beeindruckend niedrig ohne Ausschläge.

Abb. 2: Reibwertverlauf über Testdistanz (Kunststoffspritzguss)

Die BECHEM Entwickler stellten in Laborversuchen fest, dass durch Zugabe von 10 % Mikrokapseln in POM (Polyoxymethylen) der statische und dynamische Reibwert (CoF) um einen durchschnittlichen Faktor von 2,5 reduziert werden kann. Die Menge der Kapseln, die dem Kunststoff zugeführt werden sollen, ist abhängig von der Belastung auf die Reibstelle. Bei höherem Kontaktdruck ergibt sich kein nennenswerter Unterschied zwischen 10 % und 20 % Kapselzugabe. „Das Kunststoffbauteil erhält beim Reibkontakt durch die compoundierten Mikrokapseln dann Schmierung, wenn Schmierung erforderlich ist. Das Kunststoffbauteil schmiert sich selbst durch Druckbelastung. Das ist eine echte Alternative zur Schmierstoffmodifikation mit Festschmierstoffen (Grafit) oder Ölen, die ausschwitzen“, sagt Dr. Löhl. Nicht nur das Kernmaterial Schmierstoff bzw. das Thema Schmierung kann deutlichen Zusatznutzen stiften, sondern auch Kapseln mit anderen Additiven. Es ist beispielsweise möglich, dass Mikrokapseln eine wichtige Funktion als Trägermedium für PFAS-Ersatzstoffe einnehmen können.

Im Themenkreis Innenraumakustik, Soundmanagement und Störgeräuschreduktion in der Automobilbranche finden sich Anwendungen, in denen mikrokapseladditivierte Kunststoffcompounds großen Einfluss auf die Entwicklungsarbeit und die Konstruktionsprinzipien nehmen können. Je nach Art, Größe und Anzahl lässt sich mit Mikrokapseln eine akustische Emission für bestimmte Frequenzen unterdrücken. „Oft zeigen sich „Two-in-one-Effekte“, sagt Stephan Henzler, Leiter Tribologie im Hause BECHEM, und meint dabei das Zusammenfallen von Produkteigenschaften wie Schmierung und Dämpfung oder Dämpfung und Akustiksteuerung bzw. Dämpfung und Thermoeffekt.

Mit Thermoeffekt meint Henzler, dass mit der Mikrokapseltechnologie im Kunststoffbauteil integrierte Latentwärmespeicher, die mit einem Phasenwechsel von fest zu flüssig arbeiten, möglich sind, die einen großen Teil der ihnen zugeführten thermischen Energie speichern und wieder abgeben. Solche Wärmespeicher sind für Anwendungen im Fahrzeuginnenraum zur Komfortsteigerung oder in der Baufassadentechnik vorstellbar. „Starke Temperaturschwankungen im Außenbereich wirken sich auf den Innenbereich aus. Wünschenswert sind daher Oberflächen, die noch kühl sind, wenn es heiß ist, und noch warm, wenn es kalt wird“, ergänzt Dr. Löhl.

Durch Mikrokapseln lassen sich

  •  flüssige Stoffe in trockenes Pulver umwandeln
  • leicht flüchtige Stoffe einkapseln
  • Stoffe vor der Reaktion z. B. mit Luft, Licht oder Flüssigkeiten schützen und sie bei Bedarf freisetzen
  • reaktionsfreudige Substanzen voneinander getrennt halten
  • Wirkstoffe gezielt oder über eine bestimmte Zeit freisetzen oder
  • zusätzliche Funktionalitäten wie Farbe oder Geruch in ein Produkt einsetzen

Fachwissen

Dr. Thomas Löhl

Business Unit Special Lubricants
Technology Manager Anti-Friction-Coatings